Inga Spiske


Von Ohrenmenschen
und Hautmenschen,
von Augenmenschen
und von Kiefermenschen.

Die unverwechselbaren äusseren Merkmale von Menschen,
bezogen auf die psychologischen Typen von C. G. JUNG .

Uns werden manchmal Doppelgänger von berühmten Leuten
gezeigt. Oft ist die grosse Ähnlichkeit verblüffend.
Woran liegt das?

Auch der Mathematiklehrer vom Gymnasium hat einen Doppelgänger
hier gleich um die Ecke. Der ist mit ihm keineswegs verwandt!
Dabei bewegen sich beide sogar gleich. Erst dicht nebeneinander
sieht man, dass der Lehrer etwas länger ist, als sein Abbild, aber
sonst...

Schon viele kluge Leute haben versucht, diesem Geheimnis auf die
Spur zu kommen. Warum ähneln sich manche Menschen? Kann man sie
in Gruppen zusammen fassen?

Ist es denkbar, dass j e d e r zu einem bestimmten Typus gehört,
in eine Gruppe, wo einander alle (mehr oder minder) Doppelgänger
sind oder einander im Wesentlichen sehr ähneln?

Wäre es möglich, uns alle so aufzuteilen, wie der Sportlehrer mit
seiner Klasse macht, wenn er sie etwa in vier Gruppen teilt und
jede in eine andere Saalecke für Spiele oder Übungen schickt?

Könnte ein Magier mit seinem Zauberstab uns alle ebenfalls
gleichsam in vier Saalecken aufteilen, wo wir dann mit lauter
Menschen zusammen stünden, die uns ähneln? Haben wir Verwandte,
mit denen wir tatsächlich gar nicht verwandt sind?

Es gab so einen Zauberer, der von sich sagte, dass er diese
Aufteilung vornehmen konnte: C. G. Jung!

In eine der vier Saalecken stellte er FÜHLTYPEN, in die nächste
EMPFINDUNGSTYPEN, in die folgende Ecke: INTUITIVE und in die noch
verbliebene Ecke: DENKTYPEN!

Wir können nachlesen, dass Herr Jung, wenn er mit einem Menschen
eine Weile zusammengewesen war, seine Hand heben und diesem
Menschen seine "Saalecke" zuweisen konnte.

Er hat uns leider nicht hinterlassen, welchen Zauberspruch wir
murmeln müssen, damit wir seine Zauberei nachmachen können!
Herr Jung hat zwar viele dicke Bücher geschrieben, aber wie man das
anstellt, dass man die Menschen so sicher wie er, und vielleicht
sogar schnell, in Fühltypen, Empfindungstypen und Denktypen, sowie
in die Gruppe der Intuitiven zuordnet, findet sich nirgends.

In seinem Buch PSYCHOLOGISCHE TYPEN beschreibt C. G. Jung "wie
sich das Individuum hauptsächlich mittels der bei ihm am
meisten differenzierten Funktion anpasst oder orientiert".
(S. 357, Abschnitt 621) Dies ist ein Kernsatz, den wir uns merken müssen.

Was ist gemeint mit "der am meisten differenzierten Funktion"?
Kann man sie sehen?

Doch weiter: Jung unterscheidet vier Funktionen: Intuition,
Denken, Fühlen, Empfinden. (Er sagt: alle vier Funktionen kommen
in einer extrovertierten und in einer introvertierten Variante vor. )

Diesem Hinweis gehen wir nach und versuchen Jungs Geheimnis zu
lüften. Abrakadabra!

Wie könnten wir in die Lage versetzt werden, zu erkennen, wer vor uns steht.

Schalten wir das Fernsehen ein: z. B. Tagesschau.

Die Kamera holt uns viele real existierende Personen ganz nah in
unser Wohnzimmer. Wir schauen uns alle sehr aufmerksam an.

Da gibt es eine Gruppe von Leuten, die ihren Kiefer so breit
in die Gegend strecken, dass man ausser der Zahnpartie kaum noch
Augen und Ohren erkennt.

Eine andere Gruppe beherrscht das Bild mit ihren Augen, und der
Betrachter in seinem Wohnzimmer fühlt sich vom Bildschirm her
persönlich angeschaut.

Die dritte Gruppe sitzt so prall in ihrer Haut, man möge den
Vergleich verzeihen, sodass sie an stramm bezogene Ledermöbel
erinnert.

Und schliesslich findet man noch eine Gruppe von Leuten, die so
aussehen, als würden sie nur Ohren haben und sonst gar nichts.

Diese Gruppenähnlichkeiten finden wir gleichermassen bei Männern
und bei Frauen, quer durch alle Altersstufen, bei Weissen und bei Farbigen.

Wir können unseren Fernseher auch ausschalten und Menschen in
unserer alltäglichen Umwelt ansehen! Da ist es noch einfacher!

Wenn Menschen sich ungezwungen bewegen, herumgehen und mit uns
reden, sieht man besonders deutlich, wie beim Zuhören ihre Ohren
immer grösser werden oder man fühlt sich von scharfen Augen
durchbohrt. Manche Menschen klappern mit ihrem Kiefer, als wollten
sie einen fressen! Und diejenigen, die fast zu platzen
scheinen, so wie sie in ihrem Hautmantel stecken, platzen nicht
selten auch aus ihrem Anzug... Dabei wirkt ihre Haut manchmal
wie frisch lackiert! Nur im Alter schrumpelt sie wie ein zu lange
gelagerter Apfel.

Wenn wir genau hinschauen, merken wir, das jeder Mensch eine ganz
besondere Haltung entwickelt.

Der Ohrenmensch stellt sich so auf, dass er möglichst ein Ohr in
die Höhe recken kann.

Der Augenmensch neigt sich zu uns und schiebt die Stirn vor, als
wolle er seine Augen näher zu uns bringen.

Der Kiefermensch hebt sein Kinn sieghaft in die Höhe.

Der Hautmensch steht fest auf seinen Füssen und lässt
seine Haut überall gleichmässig, auch im Gesicht, zur vollen
Wirkung gelangen.

Lassen sich nun aus diesen verschiedenen Haltungen Rückschlüsse
ziehen auf Verhaltensweisen oder Verhalten innerhalb einer Gruppe?

Äussert sich ihr Verhalten vielleicht auch in ihrer Sprechweise?

Wir sollten einmal darauf achten, wie Menschen sich ausdrücken.
Die einen müssen sich vielleicht "durchbeissen", andere "die Ohren
spitzen", um sich behaupten zu können. Manche haben
"ein dickes Fell", damit nicht alles zu sehr "unter die Haut"
geht, und manche "sehen zu", wie sie zurechtkommen.

Liebe Leser, sind unsere vier Gruppen möglicherweise Jungs "Zaubergruppen"?

Ist vielleicht der Intuitive ein... Ohrenmensch?
Der Denktyp... ein Augenmensch?
Der Fühltyp ist dann sicher ... ein Kiefermensch und
der Empfindungstyp.... ein Hautmensch!

Der Verdacht verdient genauer überprüft zu werden. Sollten wir
eine Bestätigung finden für diese vermutete Übereinstimmung (und
die Versuchung ist gross, daran zu glauben), dann hätten wir
Zugang zu allen Anleitungen in Jungs Schriften über Talente und
Gefährdungen der beobachteten Personen, auch über mögliche latente
schlechte Eigenschaften der einzelnen Typen, sowie über deren
schlummernden Fähigkeiten und Begabungen, selbst wenn diese noch
nicht voll ausgereift sind. Wir würden wissen, wie einer wirklich
ist!

Vor uns liegt zuvor viel Arbeit. Wir müssen eine Menge bedenken.
Sehen wir uns das noch einmal genauer an.

Ein Mensch, der sich beispielsweise hauptsächlich mit seinen
Empfindungen "anpasst und orientiert", müsste doch mit einem
Menschen, der das auch so macht, gemeinsame deutlich sichtbare
äussere Ähnlichkeit haben?

Oder nehmen wir die Intuitiven! Sie passen sich an und
orientieren sich, indem sie hauptsächlich ihre Intuition
einsetzen. Das müsste man doch auch sehen!

Greifen wir uns einfach einen Kandidaten zur näheren
Untersuchung heraus. Menschen, die im öffentlichen Leben
stehen, deren Fotos jeder kennt, die man häufig im Fernsehen
sieht, wie sie herumgehen, sich setzen, sprechen, lachen, und von
denen genügend schriftliche Äusserungen vorliegen, sind als
Beispiele besonders gut geeignet.

In den 60-er Jahren sahen wir häufig im Fernsehen Herrn Kurt Georg
Kiesinger, damals deutscher Bundeskanzler. Von ihm gibt es sehr
viele Fotos in alten Zeitungen und Zeitschriften.
Er schien zu der Gruppe von Menschen zu gehören, deren Ohren eine
Vorrangstellung einnehmen. An einer gewissen schiefen
Kopfhaltung, die wir auf fast allen Fotos von ihm finden, lässt
sich das deutlich erkennen. Durch diese Kopfhaltung wird das Ohr
ganz offenbar in eine bessere Wahrnehmungsposition gedreht.

Die gleiche Haltung nimmt auch der Schriftsteller Peter Handke auf
vielen Fotos ein. Noch deutlicher wird das im Fernsehen: die Stirn
kommt zuerst auf uns zu, dann - eine Drehung! Und jetzt ist das
Ohr im Mittelpunkt!

Ähnliches beobachten wir auch bei dem ehemaligen deutschen
Aussenminister Hans-Dietrich Genscher. Es ist bei ihm nicht immer
nur ein Ohr, das vorgeschoben wird. Es ist, als würde er beide
Ohren nach Vorne schieben, die Kopfhaltung wird dabei stirnlastig,
wobei die Augen den Ohren zu Hilfe kommen.

Wenn die Ohren und das Hören den Genannten so wichtig ist,
müsste da nicht auch in ihren Werken, sowie in ihren Äusserungen
und in ihrem sonstigen Verhalten etwas davon zu bemerken sein?
Der SPIEGEL (13/67) berichtete, Kiesinger habe
die Angewohnheit, sich lieber vortragen zu lassen, als selber
zu lesen, ja, er sei ein "HÖR-ZU-Kanzler". Kiesinger soll sich
auch gerühmt haben, der einzige Staatsmann zu sein, der "das Ohr
des Generals de Gaulle" habe. - Die Münchner ABEND-ZEITUNG (18.
10. 67) berichtete damals auch von einem heiteren Gespräch, das
Kiesinger in einer Parlamentsdebatte mit Herbert Wehner hatte. Das
Geplänkel wurde wörtlich wiedergegeben.

Kiesinger: Da lese ich zum Beispiel in einer süddeutschen sozialdemokratischen Zeitung........
Wehner: Was Sie nicht alles lesen!
Kiesinger: Ja, solche Lektüre muss man treiben, man muss sein Ohr am Volke halten.
Wehner: Lesen Sie mit dem Ohr?
Kiesinger: Wir leben in einer akustisch gewandelten Welt, Herr Wehner.

Es liessen sich noch bessere Beispiele finden. In der
Sprache Kiesingers gab es eine Fülle von Formulierungen,
die auf vielfältige Gehöreindrücke hinweisen.

Zusammengefasst muss man sagen: es gibt Menschen, die in ihrer
Haltung und in ihrer Sprechweise ihren Ohren eine Vorrang-
stellung geben, die auch viel vom Hören sprechen.

Wie ist es mit Peter Handke?

Bei einem Schriftsteller ist es besonders bequem, Jagd auf
Worte zu machen. Nach unseren bisherigen Vermutungen müssten bei
ihm deutlich "Hörworte" in seinen Texten überwiegen.

Tun sie es? Holen wir uns ein paar Bücher von ihm und
schlagen sie irgendwo auf.

Hier: "Der Verfolger wird nur beschrieben in den Geräuschen, die
er verursacht, oder in den Geräuschen, die er, weil er Ver-
folger ist, nicht verursacht. " "Als der Hausierer klopft, hört er
drinnen überstürzte Bewegungen. " - "Sie hat sich bei dem Geräusch
nichts gedacht. " - "Nach dem Geräusch sucht er sofort nach der
Bezeichnung des Gegenstands, durch den das Geräusch entstanden ist. "
- "War es ein Knall oder ein Krach? " - "Als er
plötzlich schlechter hört, glaubt er zuerst, schlechter zu sehen. "-
"... weil man das Herz abgehorcht hat... " - "Dem Krach ist
eine leise, singende Stille gefolgt. " - "Durch einen Schuss
entstehen dreierlei Geräusche. " - "Nach jedem Satz entsteht ein
unangenehmes Schweigen. " - "Plötzlich knarrt der Körper des
Toten. " "Der baumelnde Hörer hat immer wieder dumpf gegen etwas
geschlagen. " - "Am hellichten Tag ist es so still, dass er den
Wind, wie einen ..... Nachtwind hört. " "Die Kugel gellt auf
dem Pflaster. " - "Ihre Stimme bebt. " Es ist ein Geräusch, wie
ein Blubbern. " - "Der Gewürgte knurrt. " - "Er drückt die Kehle
so fest zusammen, bis er ein Knacken hört. " - "Der Hausierer
bleibt auf der untersten Stufe stehen und lauscht. " usw.

Die Beispiele lassen auf ein aussergewöhnlich differenziertes
Gehör schliessen, nichtwahr? Die sprachliche Phantasie, mit der
Handke Geräusche beschreibt, wird jedem Leser auffallen!

Und es ist gewiss kein Zufall, wenn Handke seine
Theaterstücke Sprechstücke nennt, offensichtlich mehr
für Zuhörer bestimmt, als für Zuschauer. Von seinem KASPAR
sagt Handke, das Stück könnte auch Sprechfolterung heissen.
Nach wahren Sprach- und Lärmorgien endet das Stück so:
"... dazu macht der Vorhang mit einem schrillen Geräusch
einen Ruck gegen die Mitte zu. Mit einem noch schrilleren
Geräusch.... usw. " Dann: "mit dem schrillsten aller mög-
lichen Geräusche... fällt der Vorhang. "

Interessant ist auch ein Blick auf die Regeln für
Schauspieler, die Handke seinen Sprechstücken beigefügt hat.
"Die Litaneien in katholischen Kirchen anhören. " - "Die An-
feuerungsrufe und die Schimpfchöre auf Fussballplätzen
hören. " usw. In der Mehrzahl seiner Regeln fordert Handke
die Schauspieler auf, sich einem Hörerlebnis auszusetzen.

Es gibt da noch ein Wort, das gleichermassen bei Handke
und bei Kiesinger vorkommt! Es ist das Wort "Möglich! " und
"Möglichkeit! "

Auf das Wort "Möglichkeit" in allen seinen Variationen hat Jung
als Erkennungswort für Intuitive hingewiesen: wer besonders oft
"möglich" oder "Möglichkeit" sagt, ist ein Intuitiver!

Im SPIEGEL (38/67) lesen wir in einem Interview, dass Kiesinger
dies Wort in mehreren Abwandlungen gebraucht. Und bei Handke lesen
wir: "Das Sück KASPAR zeigt nicht, wie es wirklich ist oder
wirklich war. Es zeigt, was möglich ist. " (! )

"Der Intuitive", schreibt Jung, "findet sich nie dort, wo
allgemein anerkannte Wirklichkeitswerte zu finden sind,
sondern immer da, wo Möglichkeiten vorhanden sind. "
(PSYCHOLOGISCHE TYPEN, S. 400, Abschnitt 681).

Wir können beliebig ein Buch von Handke irgendwo aufschlagen.
"Dem Versuch durch Befragung der Personen und durch die
Untersuchung der Gegenstände von der ursprünglichen Un-
zahl der Möglichkeiten zur einzig möglichen Tatsache zu
kommen, begegnet der Versuch, es bei der Unzahl der Möglich-
keiten bleiben zu lassen, oder zumindest eine Beschränkung
auf die einzig mögliche Tatsache zu verhindern, oder durch falsche
Anordnungen von Gegenständen zu der falschen einzig möglichen
Tatsache abzulenken. "

Nach C. G. Jung weist eine solche Ausdrucksweise Handke als
Intuitiven aus!

Wenn Handke so differenziert hinhört und auch so viel von
Möglichkeiten spricht, erscheint es logisch, anzunehmen, dass der
Intuitive seine Wahrnehmungen hauptsächlich durch das Gehör,
durch sein Ohr, bezieht!

Wenden wir uns jetzt dem Denktyp zu. Der amerikanische Zu-
kunftsforscher Hermann Kahn fällt uns, ebenso wie der ihm
äusserlich ähnliche schweizer Schriftsteller Friedrich
Dürrenmatt, dadurch auf, dass seine Augen das ganze Fernseh-
bild beherrschen. (Bei Fotos in den Zeitschriften ist es
dasselbe. ) Im Interview im SPIEGEL (15/67) mit Kahn ist
viel vom Denken die Rede. DENKEN ÜBER DAS UNDENKBARE
betitelt Kahn sein Buch, das Anlass zu diesem Gespräch war.

Denken, gedacht, denkbar, nachdenken, Denkweise -
diese Worte kommen häufig vor. Aber auch: Bild, Ansicht, blind,
blinde Unvernunft, sehen. Das sind "Augenworte", "Sehworte".

In seinem Buch GRIECHE SUCHT GRIECHIN lässt Dürrenmatt
seine handelnden Personen häufig sagen: "Sehen Sie! "
oder "Siehst Du! "- Es wird sehr häufig betrachtet, gestarrt, ge-
schaut, geglotzt, geblickt und erblickt, sowie hingesehen.

Peter Handke beschreibt die Welt also mit "Ohrworten". Und
Dürrenmatt? Erlebt er die Welt hauptsächlich durch seine Augen?

Handke: "Der baumelnde (Telefon-) Hörer schlägt dumpf gegen...
usw. "

Dürrenmatt: "Der Anblick des Telefonapparates... usw. " lässt
den Helden Archibald "einen Augenblick nachdenken".

Wir merken uns: suchen wir einen Denktypus, dann achten wir da-
rauf, wie er uns anschaut und welche Worte er benutzt. Sagt
er oft "Siehst Du! ", dann haben wir schon die erste Spur.

Kommen wir jetzt zum Fühltyp.

Ich erinnere mich an einen Film. Da nahm ein reisender
Perlenhändler jede Perle zuerst zwischen seine Zähne,
ehe er die Kette kaufte. Er fühlte also mit den Zähnen,
ob sie echt war. Ob etwas Wert hat, wird also mit dem Kiefer
geprüft und abgeschmeckt. Jung sagt von seinem Fühltypus, er
könne sehr gut abwägen. Er sei ein Meister darin, Werte oder eine
Situation durch Abwägen festzustellen und zu beurteilen. Es
gestatte ihm, sich ausserordentlich situationsgemäss zu verhalten.

In ZUR PERSON von Günther Gauss (dtv-Taschenbuch Nr. 324 )
sagt Willy Brandt: Weil ich es schätze...... , die Argumente
abzuwägen, zu spüren, was in einer Situation drin ist und was
nicht in ihr ist... ".

Wir haben alle sicher gut in Erinnerung, wasfür ein gewaltiger
Kiefer auf allen Fotos von Willy Brandt zu sehen war! Könnte
man nicht sagen, sein Kiefer beherrschte das ganze Bild? Und
könnte man seinen Ausspruch nicht gut so umändern (und der Sinn
käme genauso heraus): "weil ich es schätze herauszuschmecken, was
in einer Situation drin ist.. "?

Vor mir liegt ein Buch von Günter Grass:KATZ UND MAUS.

Welche Seite ich auch aufschlage, ich finde "Kieferworte" in
Mengen. Es werden seitenweise Kiefereindrücke, Wahrnehmungen und
Tätigkeiten mit dem Mund differenziert beschrieben.

Ich muss gestehen, dass ich dies erwartet habe, nachdem ich mir
Fotos von Grass angesehen und ihn im Fernsehen beobachtet habe!

".. die wir mit Schlucken füllten, bis unsere Zungen
dick und trocken in trockenen Höhlen lagen... " - "Er
spuckte ein, zwei Figuren... " - "Keine Schwärze vermag diese
ausgewachsene Frucht zu schlucken... " - "... in seinem
Mund zentrale Bedeutung hatten" - "Kussmund" - "Sprechmund"-
"... mit arbeitenden Kaumuskeln. " - "Sein Mund säuerlich und
ohne Interpunktion in Bewegung. Auf den Strand geworfene Fische
schnappen so regelmässig nach Luft. " - "... der die Zunge
ausfahren liess... " - ".. verspürte eine Art sahnebonbonsüssen
Stolz auf Joachim Mahlke.. " - ".. half er durch übertriebenes
Schlucken... " - "Gelbliche Lippen hatten blaue Ränder und
entblössten Mahlkes klappernde Zähne. " - "Neben ihm hatte ich
Zahnschmerzen. " - ".. verdeckte aber nie vollkommen jenen
fatalen Knorpel zwischen Kinnlade und Schlüsselbein.. " - "...
blaurot ums Kinn und gelblich über den Backenknochen.. " - "..
von Tangbärten umwallt.. " - "mit den beiden pausbackigen
Engeln.. " - ".. wie von wendigem Zahnschmerz durchtobte
Erlösermiene.. " - ".. während es ihm noch aus der Nase
und den Mundwinkeln lief... " - "liess beim Kauen seinen
Adamsapfel Klimmzüge machen.. " - futterte, lachte, pfiff,
soff, vertilgte, maulte, röhrte, zerriss mit den Zähnen,
knirschte, knutschte usw. - ".. seinen Zähnen Widerstand zu
bieten.. " - "Keine Spur von sichtbaren Schneidezähnen,
die als Hauer Effekt gemacht hätten. " - "Mahlkes
Oberlippe... :Aufgestülpt stand sie vor und konnte die
beiden oberen Schneidezähne, die gleichfalls nicht senk-
recht, sondern hauerartig schräg standen, nie ganz ver-
decken. " - ".. die kleine Pokriefke habe auch eine
Stülplippe und immer sichtbare Schneidezähne gehabt. "
".. kamen zerbissene Worte auf die Welt... "

Diese Beispiele sind nicht mühsam zusammengesucht, sie
drängen sich einem auf, wenn man blättert.

Jetzt bleibt noch der Empfindungstyp. Für ihn benötigen wir noch
unsere Aufmerksamkeit!

Sollte es wirklich möglich sein nach äusseren Merkmalen, nach dem
Einsatz der Ohren (bei jemandem, der dazu dauernd von
Möglichkeiten spricht), der Haltung des Kiefers oder dem
besonderen Gebrauch scharfer Augen, den Intuitiven, den Fühltypus
und den Denker zu erkennen, dann ist Zeit

C. G. Jungs PSYCHOLOGISCHE TYPEN

zur Hand zu nehmen. Im Band "Allgemeine Beschreibung der Typen"
kann jeder nachlesen, was (z. B) der Fühltypus alles leisten kann
und was er nicht kann, wo er versagt, oder wobei man sich auf ihn
verlassen kann. Es wird auch klar, wo er völlig hilflos ist.

Aber noch fehlt uns der Empfindungstyp. Von ihm sagt C. G. Jung
(S. 395, Abschnitt 676): "Auf niederer Stufe ist dieser Typus der
Mensch der tastbaren Wirklichkeit, ohne Neigung zu Reflexionen..
usw. " Tastbare Wirklichkeit! Der Empfindungstyp passt sich also
im Leben an (und orientiert sich) mittels seines Tastsinns?
Tastsinn ist Hautsinn. Mit der Oberfläche meiner Finger spüre ich,
ob etwas rauh oder glatt, nass, kalt oder angenehm warm ist.
Auf meiner Haut nehme ich die Empfindung wahr : angenehm oder
eisig, stachelig oder weich. Ich spüre das im Nahbereich, ich
nehme die "tastbare Wirklichkeit" im wahrsten Sinne des Wortes
auf. Allerdings spüre ich das alles hauptsächlich nur in der Nähe.

Der Empfindungstyp ist also unser Hautmensch. Wir müssten
jetzt in seinen Äusserungen "Hautworte" oder Worte des Tastsinns
finden.

Der sogenannte Wirtschaftswunder-Bundeskanzler Erhardt sprach viel
von Berührungen und Kontakten, und dass Eindrücke an ihm
haften bleiben (dtv Nr. 324).

Ausdrücke von Tastsinn oder Hautbegriffe sind: Es tangiert mich
nicht, es bedrückt mich, es macht mir eine Gänsehaut, ich fühle
mich nicht wohl in meiner Haut, ich trage meine Haut zu Markte,
ich erröte, ich werde blass, ich bin schön braun, Runzeln, Falten,
fasse nicht in eine offene Wunde, "Streicheleinheiten", er ist
aufgeblasen, seine Haut war ihm zu gross geworden, beeindrucken
und beeindruckt werden usw.

Dem Wirtschaftswunder-Vater Erhardt wurde nachgesagt, er sei ein.
"Mimophant". Diese Wort(neu)bildung wollte sicher sagen, er sei
empfindlich wie eine Mimose und überraschender Weise bald danach
dickfellig wie ein Dickhäuter!

Ein Elephant und eine Mimose gleichzeitig? Das erweckt
die Vorstellung, dass einer seine Haut ganz dünn und ganz dick
machen kann! Er kann ausserordentlich dünnhäutig reagieren
(empfindsam, empfindlich) und sich auch mittels dicker Haut vor
Angriffen, Spitzen und Beleidigungen schützen.

Jung beschreibt den Empfindungstypus u. a. so: man weiss nie, was
bei ihm Eindruck machen wird und was nicht.

Man braucht also scharfe Beobachtungsgabe und nicht Simsalabim und
Abrakadabra, um herauszubekommen, wer in welche "Saalecke" gehört.
Ohrenmensch? Oder ein Hautmensch? Ein Kiefertyp? Oder
Augenmensch? Wenn wir das wissen, dann schlagen wir C. G. Jungs
PSYCHOLOGISCHE TYPEN auf und lesen nach, was dort über die
jeweiligen Gruppenmitglieder steht, ähnlich wir wir Horoskope
lesen. Ist unser Gegenüber ein Intuitiver (= Ohrenmensch), ein
Empfindungstyp (= Hautmensch), ein Fühltyp (= Kiefertyp) oder
Denker (= ein Augenmensch)? Wenn uns die Antwort gelang,
besitzen wir einen Zugang zum tieferen Verständnis für ihn.

© Inga Spiske

Nur zum privaten Gebrauch!
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    Walter Spiske, Schauspieler

Zitat aus Shakespeares Hamlet.
Beeindruckt von der Kunst des alten Schauspielers philosophiert Hamlet:
Ist´s nicht erstaunlich,dass der Spieler hier bei einer bloßen Dichtung,
einem Traum der Leidenschaft,vermochte seine Seele nach eignen
Vorstellungen so zu zwingen, dass sein Gesicht von ihrer Regung
blaßte,sein Auge nass,Bestürzung in den Mienen,gebrochne Stimm´ und
seine ganze Haltung gefügt nach seinem Sinn.

Wenn ein Schauspieler nur aus der Vorstellungskraft "körperliche
Veränderungen" erreichen kann,wenn er sich in die seelische Situation
seiner Figur hineiversetzt, umsomehr müsste doch die ein Leben lang
geübte seelische Funktionsreihenfolge, im Gesichts- und Körperausdruck
ihre Spuren hinterlassen.Und könnte das Studium solcher äusserlichen
Merkmale nicht ein Hilfsmittel sein,die Typzugehörigkeit eines Menschen
zu bestimmen?


Arthur Schopenhauer
Ein neuer Gedanke wird zuerst verlacht,
dann bekämpft,
bis er nach längerer Zeit
als selbstverständlich gilt.



TEXTE ZUM THEMA:


C.G. Jung Gesamtwerk Band 6 § 979 Seite 568:

Charakter ist die feststehende individuelle Form des Menschen.
Die Form ist körperlicher, wie seelischer Natur,
daher die allgemeine Charakterologie eine Lehre der Kennzeichen
physischer sowohl wie seelischer Art ist.
...
So innig in der Tat ist die gegenseitige Durchdringung
der körperlichen und seelischen Kennzeichen, dass wir
aus der Beschaffenheit des Körpers nicht nur weitgehend
auf die Beschaffenheit der Seele sondern auch aus der seelischen
Besonderheit, auf entsprechende körperliche Erscheinungsformen
schliessen können.



Berliner Morgenpost 9.9.2000

Die Seele wird heute wissenschaftlich "in der Welt des Erlebens"
gesehen,somit also darin,was einer empfindet,wahrnimmt,fühlt,sich
vorstellt und will.Insgesamt gilt die Seele als ein den Körper formendes
und bestimmendes Prinzip.

Der noch sehr junge Forschungszweig der Psycho-Neuro-Immunologie möchte mit
wissenschaftlicher Akribie herausfinden,wie eng tatsächlich Körper und Seele
miteinander verflochten sind.